Fotografie und Möbelobjekte der 1980er Jahre.
Martin Randenrath, Reinhard Müller, Meyer Voggenreiter.
Der Fahnenträger I – VII
Martin Randenrath
1985
Die fotografischen Arbeiten entstanden in einer Zeit des Auf- und Durchbruchs: „Erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre konnte die Fotografie in Westdeutschland als autonomes, gleichberechtigtes künstlerisches Medium etabliert und in den Museen institutionalisiert werden.“ /1
Auch Martin Randenraths Fahnenträger haben ihren Weg in die Institution gefunden und gehören heute zur Sammlung des Museum of Fine Arts, Houston. /2
Das Gebiet der künstlerischen Fotografie ist ein weitläufiges: Landschafts-, Interieur-, Portrait-, Akt-, Architektur-, Sachfotografie gehören sicher zu den geläufigsten Begriffen. Doch keiner dieser Begrifflichkeiten treffen auf die Fahnenträger zu. Sie sind die fotografische Dokumentation der Interaktion einzelner Personen mit dem Gegenstand Fahne.
Die Fotografien verweisen in ihrem Ergebnis auf ein zu Grunde liegendes Konzept, das Kleidung, die Position der Figur im Raum, Licht und Schatten exakt bestimmt. In der Auseinandersetzung mit der Aufgabe eine Fahne zu halten/tragen, kommen die Personen zu verschiedenen Ergebnissen, die unter bildidentischen Bedingungen dokumentiert werden. Jede Handhabung der Fahne scheint individuell motiviert, die Träger zeigen Variationen einer Aufgabe. Die Bewertung entfällt, es gibt kein richtiges oder falsches Handeln. Fotografie ist hier nicht Abbild von Vorgefundenem sondern Dokument der Inszenierung.
Martin Randenraths Arbeit zeigt beispielhaft den Paradigmenwechsel der Fotografie dieses Jahrzehnts, sie wird zum künstlerischen Ausdruck, visualisiert die thematische Auseinandersetzung.
Inhaltlich ist die Figur des Fahnenträgers sowohl in militärischem wie auch zivilem Kontext zu finden. Er ist Sinnbild derer Tugenden und mit wenigen Ausnahmen (Jeanne d’Arc) im Kunstkanon eindeutig männlich konnotiert.
Die Fahnenträger in Martin Randenraths Fotografien entziehen sich in den Graustufen zwischen Schwarz und Weiß einer Identifikation. Das Erfassen von Unterschieden erfordert ein genaues Betrachten und stützt so die inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Dargestelltem und Betrachter. Die originären Aufgaben eines Fahnenträgers werden in Frage und gleichzeitig Vorlagen zur Imitation bereit gestellt.
1 http://www.photomuseum.de/schone-neue-brd/ Stand 27.03.2022
2 https://emuseum.mfah.org/objects/83153/der-fahnentrager-ii Stand 27.03.2022
Bibliothek
Reinhard Müller
Meyer Voggenreiter
1988
Bibliothek(en)
Im Allgemeinen verstehen wir Bibliotheken als Orte des Wissens. Kaum zu glauben in solch einer Umgebung zu scheitern, doch zumindest literarisch ist es natürlich möglich.
So lässt Thomas Wolfe seine literarische Figur Eugene Gant „abends in der Bibliothek (zu) stöbern und wie ein Besessener lesen. Schon die Vorstellung der unzähligen Bücher genügte, ihn in Wut zu versetzen – je mehr Bücher er las, desto weniger schien er zu kennen, denn mit der Zahl der gelesenen schien ihm die Zahl derer, die er zu Lesen außerstande wäre, ins Unermessliche zu steigen.“ /1
Diesem Konflikt kann ein:e Leser:in möglicherweise in einer Privatbibliothek entkommen. Eine Sicherheit gibt es allerdings nicht.
Der Reiz von in Privateigentum befindlichen Büchersammlungen liegt sicher auch in ihrer Visualisierung von Kulturgut. Gerne präsentieren sich seriös auftretende Interviewpartner:innen vor ihren Bücherwänden, ob geplant oder den Räumlichkeiten geschuldigt, bleibt im Gespräch in der Regel ungeklärt.
Ich erinnere mich, dass Martin Scorsese Fran Lebowitz auf der Suche nach inspirierenden Orten einmal einen ähnlichen Vorschlag machte. Als letztere bemerkt, sie verstehe die Idee der liberary nicht, räumt er zunächst ein „I don’t have an idea about the liberary.“ /2 Dieser ersten Reaktion folgen weitere Äußerungen, die erstere allerdings widerlegen.
Statt uns vor Büchern zu präsentieren, geben wir uns doch besser in ihren Schutz. Ein Schutz aus Wörtern, Sätzen, Gedanken, Fakten, Irrationalitäten, Belanglosem, Fabuliertem, Kommentiertem, Ideen, Ergebnissen, Erfundenem und was sonst noch auf Papier gedruckt ist.
In der Bibliothek von Müller/Meyer Voggenreiter umschließen Bücher, Bilder, Objekte unsere Gedanken und Interessen. Sie sind eine zweiten Haut, stecken das Territorium ab, bilden die Grenze zum Du.
Als Reinhard Müller und Meyer Voggenreiter die Bibliothek entwarfen, gehörten sie zusammen mit Gerd Arens, Wolfgang Laubersheimer und Ralph Sommer zur Gruppe Pentagon. Bezeichnend für Pentagon war, dass „die Objekte im Zustand von Fragmenten belassen“ und „immer als unabgeschlossenes Geschehen zu verstehen“ waren. „Sie vollenden sich erst in der Interaktion mit dem Betrachter oder Benutzer.“ /3
Das Thema Raum bestimmte im Besonderen die „Zusammenarbeit zwischen Meyer Voggenreiter und Müller. 1988 fertigten sie die Bibliothek, die ich als Möbel-Ort verstehe, denn es handelt sich (...) um ein Möbel-Objekt mit räumlichen Qualitäten.“ /3
Die Bibliothek wird nicht mehr als Ort der Zusammenkunft definiert, sondern als Einladung an das Ich, des „freiwilligen Sich – Zurückziehen(s), Sich – Konzentrieren(s)“. /5
Dabei bewahrt die „brutalistische Materialsprache (...) die Arbeit(en) vor jeder oberflächlich formaler Spekulationen (...), es räumt so der eigentlichen Thematik die eindeutige Priorität ein.“ Dieser „spartanisch ausgestattete(n) Ort der Kontemplation und Konzentration“ kann auch als „Art Mönchszelle der Wissenschaft“ aufgefasst werden. /6
Wir folgen der Auffassung das deutsche Design dieser Zeit als Experiment zu verstehen und wagen im Rahmen dieses Textes auch ein Experiment:
Die Idee der wissenschaftlichen Mönchszelle - hier zugunsten einer für die Bibliothek schreibender Autorenschaft. Alternativ könnten wir uns aber auch Fran Lebowitz anschließen und ein Experiment vorantreiben mit Namen „Schriftsteller im Streik: Eine erschreckende Vorhersage.“ /7
/1 Matthew Battles, Die Welt der Bücher, 2003, S. 9; hier Zitat aus: Thomas Wolfe, Von Zeit und Strom
/2 https://www.youtube.com/watch?v=qZ-18AAMOVM Stand 8.03.2022
/3 Volker Albus, Christian Borngräber, Design Bilanz, Neues deutsches Design der 80er Jahrein Objekten, Bildern, Daten und Texten, 1992, S.182
/4 Petra Eisele, BRD DESIGN, Deutsches Design als Experiment seit den 1960er Jahren, 2005, S.240
/5 Volker Albus, ebenda, S.184
/6 Petra Eisele, ebenda, S. 240
/7 Fran Lebowitz, New York und der Rest der Welt, Berlin 2022, S.186 ff