Karlheinz Deutzmann silent cut
25.05.- 22.06.2024

Karlheinz Deutzmann silent cut

silent cut

Schnitte durch das Auge der Zeit
Analoge Papiercollagen
von Karlheinz Deutzmann

Eröffnung
24.Mai 2024
17-22 Uhr

Dauer der Ausstellung
25.05.- 22.06.2024

Öffnungszeiten
Do/ Fr 15-18 Uhr, Sa 12-18 Uhr
Do 30.05. geschlossenen

kuratiert von Ulrike Jagla-Blankenburg I jaglaproject

Parallelwelten zwischen Chaos und Stille
Das Wesen der Collage liegt bekanntlich in der sinnhaften Erneuerung ihres Ausgangsmaterials und diese Erneuerung erscheint meist überraschend, fremd und aus einer zwar noch irgendwo ablesbaren, jedoch im erneuerten Ganzen unbekannten Welt, die sich jenseits tradierter Gewissheiten bewegt. Die geschichtliche Wahrnehmung ihrer Ausgangsbilder, jener Bildfetzen mit Wiedererkennungswert, stürzt die Collage im Handumdrehen vom Tisch, Zitate werden neu organisiert und in andere subjektive oder tiefer liegende Realitäten überführt. Mitunter werden neue, paradoxe Analogien geschaffen, die das Bekannte in neuem Licht erscheinen lassen. So herrscht ein grundlegendes Phönix-aus-der-Asche-Prinzip, das der Collage in ihrer Entstehung zu Eigen ist, und sie damit auch nicht als anhängliches Assoziativbild charakterisiert, sondern als eigenständiges Bildwerk.
Auch in den Papiercollagen von Karlheinz Deutzmann überlagern sich Bildelemente und Bedeutungsebenen in schwindelerregender Komplexität. Spielerisch kollidierende Zitate erzeugen umgekehrte Perspektiven und schaffen neue freie Räume in einem System von Verknüpfung und Überlagerung. Deutzmann selbst bezeichnet seine Werke als „analoge Collagen“, da einzig das Handgemachte, das Schneiden, Kleben, Zusammenfügen, Übertragen und Überlagern den Entstehungsprozess seiner Bildwelten bestimmt. Nachträgliche Bearbeitungen oder Prozesse im digitalen Format existieren in seiner Arbeit nicht und so entstammen seine, vor allem in den letzten Jahren entstandenen, hybriden Bildwelten allein diesem rein handwerklichen Prozess.
Für das Format der Papiercollage, einzig in der Fläche verhaftet - und doch zuweilen in subkutan haptischer Plastizität - hatte sich Karlheinz Deutzmann schon sehr früh entschieden. Früh, das bedeutet die Entstehung von ersten Collagen Anfang der 80er Jahre.
Mit stoischer Unbeirrtheit und diszipliniertem Zeitmanagement schuf er schon damals Raum und Zeit, nicht nur in seinen Bildwelten sondern auch für seine eigene Welt, nämlich die der Möglichmachung seiner fast täglichen Bildproduktion. Alles begann zu einer Zeit, als er in noch jungen Jahren seine berufliche Tätigkeit bei einem Kölner Versicherungskonzern startete und dann, über die weiteren Jahre hinweg, stets abends oder an Wochenenden seinem Kunstschaffen nachging – und dies bis tief in die Nächte hinein, stets bei Musik. Die Methode des nächtlichen Arbeitens behielt er bis heute bei, was im Übrigen auch in der farblichen Anmutung mancher Bilder zuweilen nicht unerheblich erscheint. Besonders den Bildern der vorerst letzten, derzeitigen Phase
ist eine gedämpfte Patina zu eigen, dunklere und warm-schimmernde Töne bestimmen die Szenerien und vermitteln den Eindruck von Vergangenem, Verblasstem, teilweise auch Abgenutztem. Der Faktor Zeit schleicht sich ein und überführt das bildliche Geschehen in eine vermeintliche Meta-Stabilität, die jenseits von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft liegt.

Zudem erwirkt eine besondere Technik in Form von mehrschichtigen
Arbeitsprozessen den Eindruck einer regelrechten Janusköpfigkeit von
Raum und Zeit. Indem Deutzmann seine einzelnen Vorlagen gleich
mehrmals als Kopien vervielfältigt und sie im Anschluss auf
unterschiedliche Weise ebenso mehrfach ineinander fügt, entstehen
optische Vexierbilder, die besonders in seinen Portrait- und Gesichter-
Collagen auf anziehende Weise irritieren.

Die Ausstellung Silent Cut – Schnitte durch das Auge der Zeit, präsentiert analoge Papiercollagen von Karlheinz Deutzmann in Form von Einzelwerken, Büchern, Katalogen, Tagebüchern, LP-Cover und Leporellos sowie einer aktuellen, eigens für die Ausstellung angefertigten Edition.
Insgesamt erstreckt sich die Auswahl der Werke über einen Zeitraum von über dreißig Jahren bis heute. Als brisante Aktualität der Ausstellung erweist sich dabei eine neue Arbeit aus Deutzmanns Werkreihe seiner Tagebücher, die in Form des collagierten Reports, jeden einzelnen Tag in einem Zeitraum von fünf Monaten dokumentiert – bis hin zum 23. Mai 2024, einen Tag vor Eröffnung der Ausstellung!

Insgesamt umfasst die Ausstellung hauptsächlich die letzten drei Phasen von insgesamt vier seines bisherigen Oeuvres - angefangen ab 1990 mit Tagebüchern und Kladden sowie umfangreichen Arbeiten, die sich allesamt mit der Thematik Zeit auseinandersetzen – wie beispielsweise Auszüge aus seiner Werkreihe „Zeitkapsel“, in Form von 16 Kladden, die insgesamt achtzehn Monate dokumentieren. Weiterhin stehen Einzelcollagen auf Malkartons sowie collagierte LP-Cover für die Werkphase ab dem Jahr 2000, sowie weitere Einzelcollagen, die in verstärkt reduzierter Raum-Formgestaltung und sublimer Anmutung seine Schaffensperiode ab 2017 bis heute kennzeichnen.

Aber nicht nur in seinen Einzelcollagen kreiert Deutzmann bildstarke Szenarien in zeichenhaftem Charakter von Innen- und Außenwelten, die mitunter tief berühren, besonders dann, wenn sie im politischen und gesellschaftlichen Kontext von gegenwärtigen Tages- oder Weltgeschehen auftreten. Auch in seinen Collagenbüchern, meist in Form von überarbeiteten Kunstkatalogen, nimmt er künstlerische Formulierungen zum Anlass, um sie auf seine Weise in neue Kontexte zu stellen. Dabei schafft er in dem für ihn so typischen Spagat zwischen phantastischer Bildwelt und drastisch überhöhtem Realismus, einen Bilderkosmos, der verborgene Gedanken- und Seelenräume eröffnet. Die darin auftretenden Gestalten, Gesichter, Figurenkonglomerate und räumliche Szenarien tragen nicht selten den Charakter von sublimer Stille und angehaltener Bewegung in sich, genauso wie sie an anderer Stelle den infernalen Auftritt beschwören.
Dies belegen Ausstellungsexponate wie beispielsweise das Buch „aka“ von Roni Horn (2010), collagiert in Bild und Schrift (Deutzmann 2022) oder das collagierte Fotobuch „Rolling Stone“, mit Portraits bekannter Persönlichkeiten aus den Bereichen Musik, Kunst, Film und Literatur, wie auch der Katalog „Hiroshima“, mit von Arnulf Rainer überarbeiteten Hiroschima-Fotos und in collagierter Form von Karlheinz Deutzmann gefertigt. Vor allem der Katalog „Subliminal Messages“ des amerikanischen Künstlers David Bunn, kommt hierbei, so Deutzmann, besondere Bedeutung zu, da die darin gefertigten Collagen ab 2018 den Weg für seine Bildfindungen in sublimer Anschauung eröffneten.
In dieser Weise irisieren, als gleichsam auferlegte Matrix, Karlheinz Deutzmanns Hybridwelten über Seiten, Pappen und Papier hinweg und präsentieren dabei in ihrem stets fragmentarischen Ganzen polyperspektivische Illusionen. Dies meist farbintensiv - Räume in Räumen, Figuren in Figuren, Bewegungen im Stillstand und Stillstand in der Bewegung. In dieser (nicht immer!) schönen neuen Welt ist die Verunsicherung komplett und der semantische Black Out oftmals radikal.
U. Jagla-Blankenburg